Fahrradaktivist im Gespräch: „Die Verkehrswende ist überfällig.“

Thomas Maria Claßen fährt Fahrrad, wann und wo er kann. Als Vorstandsmitglied des Mönchengladbacher ADFC (Allgemeiner Deutscher Fahrradclub) vertritt er eine klare Haltung: Die Verkehrswende ist überfällig.

Woher kommt Ihre Leidenschaft für das Fahrradfahren?

Gegen Ende meines ersten Grundschuljahres habe ich durchgesetzt, dass ich mit meinem Fahrrad zur Schule fahren darf. Das größte Hindernis war die damals schon viel befahrene Hofstraße (lacht), heute noch eine Problemstelle der Blauen Route.

Welche Strecken sind für Sie besonders attraktiv in der Stadt?

Es gibt nur wenige Straßenabschnitte, die wirklich optimal sind. Die neuen Radwege zwischen Volksbad und der Erzbergerstraße sind ok. Und auch die von der mags perfekt asphaltierten touristischen Routen, zum Beispiel im Hardter Wald.

Was sind die größten Hindernisse, die mehr Radverkehr verhindern?

Die katastrophalen Lücken im Netz. Die nervigen Ampeln, die Fußgänger und Radfahrer zu langen Wartezeiten zwingen und die vielen unverständlichen Führungen an Kreuzungen. Und, dass zwar immer mal wieder Geld verfügbar war, es aber aus rätselhaften Gründen nicht ausgegeben wurde. Unser Planungsdezernent hat vor Jahren geäußert „Wir haben nicht vor, für Mobilität vorgesehene Budgets einzusparen, nicht auszugeben und jährlich zu übertragen.“ Leider sieht die Realität völlig anders aus.

Mit mehr als 200.000 Unterschriften hat die Volksinitiative „Aufbruch Fahrrad“ in NRW ein Radverkehrsgesetz auf den Weg gebracht. Was kann und muss Mönchengladbach tun?

Jetzt heißt es: Planungen aufnehmen für Geld, das definitiv kommen wird. Fördergeld darf nicht wegen mangelnder Aktivitäten an der Stadt vorbeigehen. Wir müssen uns trauen und auch mal Machbarkeitsstudien erarbeiten für Ideen, die auf den ersten Blick verrückt klingen. Zum Beispiel für einen Hochradkreisel über dem Berliner Platz, der die Topografie des Gladbach Tals nutzt. Eine Blaupause kann man heute schon im nahen Eindhoven bestaunen.

Wie schaffen wir die Mobilitätswende in den Köpfen der Menschen?

Wir müssen deutlich machen, dass unsere Kinder und viele andere Menschen weniger Schmerzen in der Lunge haben werden, weniger Leid bei den viel zu vielen Unfällen erfahren und wir alle besser in Mönchengladbach leben können. Ich rate zu einem Ausflug nach Brüggen. Da gibt es seit Jahrzehnten eine autofreie City, und der Einzelhandel funktioniert bestens.

Aber durch die Corona-Krise haben viele Menschen ihr altes Rad aus dem Keller geholt. Ich habe zahlreiche junge Eltern auf alten Drahteseln und Kinder jeden Alters auf blitzneuen bunten Rädern gesehen. Das stimmt mich zuversichtlich. Wir sind auf einem guten Weg, weil immer mehr Menschen auch wirklich Rad fahren wollen.

Was hat uns denn die neue Straßenverkehrsordnung gebracht?

Zum Beispiel erheblich mehr Autofahrer, die ausreichend Abstand halten. Und wir hoffen, dass die Verwaltung bald viele grüne Rechtsabbiegepfeile aufstellt und an gefährlichen Engstellen die neuen Schilder, die das Überholen von Zweirädern verbieten.

Wie kann die Stadt den Radverkehr auf Bismarck- und Hohenzollernstraße verbessern?

Auf beiden Straßen könnte der Kfz-Verkehr um eine Spur reduziert werden. Und der Verkehr kann reduziert werden, wenn der unnötige Durchgangsverkehr zwischen Kaiser-Friedrich-Halle und Rheydt unterbunden wird. Alternativstrecken gibt es längst. Damit schaffen wir Platz für breitere Bürgersteige zum Bummeln und beidseitig ausreichend breite und sichere Radspuren.

Welche Rolle spielen Politik und Verwaltung?

Wir hatten in den vergangenen sechs Jahren einen Oberbürgermeister, der uns in vielen Dingen unterstützt hat. Aber wir hatten leider keinen Verwaltungschef, der im „Konzern Stadt“ Konsequenz und Tempo vorgegeben hat.

Wie stellen Sie sich die Mitwirkung des ADFC vor?

Wir wünschen uns volle Transparenz bei allen Vorhaben, egal, ob das von der Verwaltung kommt oder von städtischen Unternehmen wie mags. Dann arbeiten wir konstruktiv mit, bringen Ideen ein und beraten gerne.

Welche Verbesserungen für den Radverkehr wünschen Sie sich von SPD und OB-Kandidat Felix Heinrichs?

Mehr Konsequenz und weniger Koalitionsfrieden, wenn es um den Radverkehr geht.

Was Felix Heinrichs und die SPD für den Radverkehr wollen:

  • Leichter und attraktiver Umstieg vom Auto auf Fahrrad, Bus und Bahn mit sicheren Rad- und Radschnellwegen durch die Stadt, in die Außenbezirke und in unsere Nachbarstädte, kreuzungsfrei oder mit Vorrang für den Radverkehr
  • Aufstellflächen vor Ampeln und vom Autoverkehr abgeschirmte sichere Radwege (Protected Bike Lanes)
  • Mehr Platz durch Einbahnstraßenregelungen und Fahrradstraßen
  • Gute Verbindungen zu Bus und Bahn mit sicheren Abstellmöglichkeiten an den Haltestellen
  • Parkraum zu Gunsten von Geh- oder Radwegen, Grünflächen und für Außengastronomie wegfallen lassen
  • Stadtweit überdachte Fahrradstellplätze, Fahrradbügel, Radboxen und Fahrradwachen in den Einkaufszonen
  • Ausbau des E-Bike- und Bikesharing-Angebots in den Quartieren bis in die Außenbezirke
  • Konsequentes Sanktionieren von Parken auf Rad- und Gehweg

Und mehr Respekt aller Verkehrsteilnehmer*innen unter- und füreinander in Mönchengladbach.


Dieser Artikel erschien in unserer Zeitung „Kranich“ – Ausgabe Juli 2020.

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